Sonntag, 15. Januar 2006

Nicht mehr allein.

Sie ging die Strasse entlang, völlig in Gedanken versunken. Vorbei an den randvollen Mülleimern,den halb abgerissenen Plakatwänden und zertrümmerten Fahrradrahmen, die trotz ihres Zustandes immer noch an Regenrohren und Laternenpfählen angeschlossen waren. Unbeachtet blieben auch die Leute, die gelangweilt an Türrahmen oder aus Fenstern lehnten und darauf hofften, dass endlich mal etwas passierte. Langsam vor sich hertrottend bog sie zwischen den trostlosen Häuserzeilen in den kleinen Sandweg ein, der als Abkürzung zur nächsten U-Bahn-Station diente.
Irgendetwas war heute anders. Das hatte sie schon beim ersten Schritt in die kleine Strasse bemerkt. Aber was? Alles war wie immer, sah aus wie immer, roch wie immer...fühlte sich bloß anders an. Sie fühlte sich anders. Als wäre sie ein Teil von etwas, was ihr jedoch verborgen blieb. Der Sand unter ihren Füssen knirschte und kleine, spitze Sandkörner sprangen gegen ihre Knöchel, explosionsartig, wie kleine Geschosse. Was war bloß los?
In diesem Moment rutschte sie, alles ging so schnell, doch trotzdem kam es ihr so langsam vor, wie endlose Minuten der Ungewissheit. Was geschah da gerade?
„Wie kann das sein? Da war doch gar nichts. Absolut nichts.Wieso falle ich?“
Aus den Augenwinkeln sah sie ihn: Starre, abstrakte Stacheln, die in unnätürlichen Zickzack-Bögen auseinanderstrebten, silbern, glitzernd, dazwischen ein dicker, hölzernder Knauf. Nasser, abgewetzter Stoff schaukelt leicht im Luftzug, klebt an den Stacheln, verheddert, verknotet, in Fetzen. Wie ein Skelett. Und ihr Auge im Fallen so kurz davor. Gleich wird es aufgespiesst, spitz und schneidend kommen die Stacheln näher, schmerzhaft und verletzend sehen sie sie an, fast hämisch.
Doch nichts dergleichen geschieht. Weich und warm fällt ihr Körper auf den Boden, eingebettet in Sand liegt sie wie in einem Bett, gemütlich aber unwirklich fühlt es sich an, einladend zu bleiben, nicht mehr aufzustehen. Sie blickt sich um. Er ist nicht mehr da, keine Stacheln mehr, wie weggezaubert. War er überhaupt da? Aber überall dieser weiche Sand. Wunderschön. Bezaubernd. So hatte sie Sand noch nie gesehen, noch nie gefühlt. Er ist so vertraut, so warm, so anschmiegsam. So hilfreich. Denn eigentlich war sie so allein. Allein mit ihren Gedanken. Allein mit ihrem Leben. Jetzt gerade war das anders. Dieses Gefühl war weg. Er war da. An ihrer Seite. Für sie da. Immer. Überall.
Tröstend das zu wissen. Sie war nicht mehr allein. Nie mehr. Und bleibt liegen. Lässt sich fallen. In ihn.
Umgeben.
Umarmt.
Umgarnt.
Von Sand.
stephaniew - 16. Jan, 12:17

Sehr schön geschrieben...dein Text hat etwas metaphorisches. Du hast die Gefühle sehr schön verpackt und ich denke, dass jeder sich in diesen Gefühlen wiederfinden kann.

kerrina - 16. Jan, 14:36

Spannend, traurig und schön zu gleich so eine richtige Kurzgeschichte, wie ich sie mag.

Annapopanna - 16. Jan, 20:35

Danke ihr beiden!

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